Wer durch die Spandauer Altstadt schlendert, ahnt kaum, dass sich hinter einer unscheinbaren Ladentür ein kleines Stück Weihnachtswunder verbirgt. Dort, in der Adamstraße, riecht es nach Holz, Kerzenwachs und Kindheitserinnerungen. Seit Jahrzehnten verkauft Günter Münzberg hier die Schätze, die das Erzgebirge Kunsthandwerk so berühmt gemacht haben: liebevoll geschnitzte Engel, leuchtende Schwibbögen, duftende Räuchermänner. Und für viele seiner Kunden ist der Besuch kurz vor dem Advent längst zu einem festen Ritual geworden.
Ein Laden voller Geschichten und Erinnerungen
Mittwochvormittag, die Türglocke bimmelt im Sekundentakt. Im Laden herrscht ein quirliges Kommen und Gehen. Auf dem Tresen stapeln sich Kartons, in denen zarte Figuren auf ihre neuen Besitzer warten. Münzbergs Handy klingelt ununterbrochen – irgendjemand braucht immer Ersatzbirnchen, Ersatzflügel oder einen Rat.
Ein älterer Herr, 85 Jahre, steht geduldig in der Schlange. Seit 25 Jahren kauft er hier jedes Jahr denselben kleinen Engel – musizierend, lächelnd, aus feinem Lindenholz geschnitzt. Seine Sammlung umfasst inzwischen 28 Stück. „Jedes Jahr einer für meine Frau“, sagt er leise, während er den neuen sorgfältig in Papier wickelt.
Das Geschäft ist mehr als nur ein Laden. Es ist ein Ort, an dem Geschichten konserviert werden. Jeder Schwibbogen, jede Pyramide, jeder Räuchermann trägt Erinnerungen – an Weihnachten in der DDR, an Familienabende, an die Sehnsucht nach Licht in dunklen Zeiten. Viele bringen ihre alten Stücke vorbei, um sie restaurieren zu lassen. Münzberg lächelt: „Die Leute hängen an diesen Dingen. Sie sind Teil ihrer Kindheit.“
Faszination Erzgebirge Kunsthandwerk – Handarbeit mit Seele
Wer Günter Münzberg zuhört, spürt schnell, dass hier jemand nicht nur verkauft, sondern lebt, was er anbietet. Schon als Kind in der Lausitz stand er mit großen Augen vor dem Schaufenster einer Drogerie, in der manchmal seltene Figuren aus dem Erzgebirge verkauft wurden. „Die waren damals fast unmöglich zu bekommen“, erinnert er sich. „Meist gingen sie in den Export.“
Sein erster Schatz war eine kleine Kurrende – vier winzige Sänger vor einer Seiffener Kirche. „Ich war fünf. Das war mein erster Kontakt mit dieser Magie.“ Diese Faszination hat ihn nie wieder losgelassen.
Heute füllt sie seinen Laden: Miniaturstuben aus Seiffen, Reifendrehtiere – winzige Kunstwerke, die weltweit nur noch wenige Menschen herstellen können – und prachtvolle Pyramiden aus den 1950ern, die Münzberg eigenhändig restauriert. In den Regalen stehen Stücke von über 120 Herstellern, jedes ein Unikat, jedes ein Bekenntnis zur Tradition.
Das Erzgebirge Kunsthandwerk ist nicht nur Dekoration, es ist Kulturgeschichte. Es entstand aus Not und Kreativität. Wenn der Bergbau im Winter ruhte, griffen die Männer im Erzgebirge zu Schnitzmesser und Drechselbank. Aus einfachen Holzstücken wurden Engel, Bergmänner und Lichterträger – kleine Symbole der Hoffnung in dunklen Stuben. Bis heute ist diese Kunst lebendig. Viele Familienbetriebe führen die Werkstätten in vierter oder fünfter Generation.
Vom Neuanfang nach der Wende bis zum Licht im Schaufenster
Münzbergs Weg nach Berlin war kein gerader. 1984 durfte er mit seiner Familie nach langem Warten in den Westen ausreisen. Jahre später, kurz nach der Wende, kehrte er zum ersten Mal nach Seiffen zurück – mit leerem Auto, aber vollem Herzen. Dort kaufte er seine erste Ware und eröffnete 1990 seinen eigenen Laden in Spandau.
Heute, mehr als drei Jahrzehnte später, ist er eine Institution für Liebhaber handgefertigter Weihnachtskunst. Doch die letzten Jahre waren schwer. Während der Corona-Schließungen stand der Laden still – ausgerechnet im Dezember, wenn die Kassen sonst klingeln. Die Folgen spürt er bis heute. Und dann die steigenden Energiekosten: „Der Laden lebt vom Licht“, sagt er. 500 Euro mehr Strom im Monat, nur damit die Figuren strahlen können. Trotzdem: Aufgeben ist keine Option.
Münzberg repariert, restauriert, rettet, was andere längst weggeworfen hätten. „95 Prozent aller Reparaturen machen wir selbst“, sagt er stolz. Figuren werden neu lackiert, Bartspitzen angeklebt, defekte Motoren in Pyramiden ausgetauscht. Hinter der Kasse hängt eine Wand voller Auftragszettel – Zeugnisse gelebter Handwerksliebe.
Von Mülltonnen und Missverständnissen
Nicht immer war der Wert dieser Stücke bekannt. Nach der Wende, erzählt Münzberg, hätten viele Westdeutsche die „Ostgeschenke“ ihrer Verwandten einfach weggeworfen. Engel, Räuchermänner, Schwibbögen – alles landete im Müll. „Wenn wir gewusst hätten, was das wert ist, hätten wir es behalten“, sagen manche heute beschämt, wenn sie im Laden stehen.
Damals musste Münzberg den Kunden noch erklären, wie eine Pyramide überhaupt funktioniert. Heute kommen Sammler aus ganz Deutschland – und immer öfter auch aus dem Ausland. Die Nachfrage nach originaler Handarbeit wächst, je digitaler das Leben wird. „Viele wollen wieder etwas Echtes, das man anfassen kann“, sagt Münzberg.
Sein Laden ist eine kleine Gegenbewegung zur Schnelllebigkeit. Hier zählt kein Algorithmus, sondern Geduld, Präzision und ein Auge fürs Detail. Und während draußen die Großstadt tost, drehen sich im Schaufenster leise die Holzflügel einer Pyramide – wie ein Gruß aus einer anderen Zeit.
Tradition, die bleibt – das Erbe des Erzgebirge Kunsthandwerk
Was in Münzbergs Geschäft passiert, ist mehr als Handel. Es ist Bewahrung von Kultur, von Handwerk, von Herzblut. Jeder, der hier eintritt, spürt die Wärme, die von den geschnitzten Figuren ausgeht. Nicht nur, weil sie schön sind, sondern weil sie Geschichten erzählen – von Generationen, die mit Geduld, Liebe und handwerklichem Können kleine Wunder erschaffen haben.
Und vielleicht ist das der Grund, warum das Erzgebirge Kunsthandwerk überlebt hat, während so vieles andere verschwand. Es verbindet Vergangenheit und Gegenwart, Osten und Westen, Hand und Herz. Günter Münzberg sagt: „Diese Dinge strahlen etwas aus, das keine Maschine nachmachen kann – Menschlichkeit.“
Wenn man ihn fragt, ob er jemals aufhören wird, schüttelt er den Kopf. „Solange ich die Figuren in die Hand nehmen kann, mache ich weiter.“
Und so drehen sich in seiner Auslage weiter die Pyramiden, Engel lächeln mit ihren hölzernen Gesichtern, und irgendwo im Laden summt ein Kunde zufrieden: Es riecht nach Holz, nach Weihnachten, nach Zuhause.
Fazit:
Das Erzgebirge Kunsthandwerk ist kein Relikt vergangener Zeiten, sondern ein lebendiges Stück deutscher Kultur – gepflegt, geliebt und bewahrt von Menschen wie Günter Münzberg. Solange es Orte wie seinen Laden gibt, bleibt der Zauber des Erzgebirges lebendig – hell, warm und echt.







